Im Interview mit BRIGITTE erklärt Autorin Sara Weber, warum unsere Definition von Wohlstand überholt ist und wie wir den Arbeitsmarkt verändern müssen, damit Menschen langfristig zufrieden und gesund sind.
Arbeiten, arbeiten und noch mal arbeiten, damit man sich irgendwann ein schönes Einfamilienhaus in einem grünen Vorort einer größeren Stadt leisten kann. Nach diesem Prinzip leben – oder besser gesagt haben früher viele Menschen gelebt. Während es für unsere Eltern oder Großeltern vielleicht noch realistisch schien, vom Eigenheim zu träumen, ist das heute ohne saftiges Erbe nahezu unmöglich.
Autorin Sara Weber („Die Welt geht unter und ich muss trotzdem arbeiten”, „Das kann doch jemand anderes machen”) hat selbst 2021 ihren Job in einer Führungsposition bei LinkedIn gekündigt, weil der Druck zu groß wurde. Im Interview mit BRIGITTE erklärt sie, wie sich unsere Arbeitswelt und damit einhergehend auch die Definition von Wohlstand ändert (und ändern muss).
BRIGITTE-Interview mit Sara Weber
BRIGITTE: Eine 40-Stunden-Woche, höchstens 30 Tage Urlaub. Das wollen viele nicht mehr. Ist die neue Generation weniger belastbar?
Sara Weber: Wir haben gerade ganz viele Krisen durchlebt, angefangen mit der Pandemie, die ja wirklich unser Leben komplett umgekrempelt hat. Von einem Tag auf den anderen hat sie viele Dinge genommen, die gerade für junge Menschen wichtig sind. Zeit mit Freund:innen verbringen. Feiern gehen. Das Unbeschwerte ist weggefallen. Danach hat es eigentlich nicht mehr aufgehört. Dann kam der Krieg in der Ukraine, die Inflation, die Energiekrise, Gaza und so weiter. Zukunftsängste und Sorgen wechseln sich ab.
Sie beschreiben gerade hauptsächlich äußere Einflüsse. Was ist mit der Arbeitswelt? Hat die sich auch verändert?
Sie ist schnelllebiger geworden. Teils werden Stellen nicht nachbesetzt – oder können durch den Fachkräftemangel in manchen Branchen nicht nachbesetzt werden. Es hat eine Verdichtung von Arbeit stattgefunden, die auch dazu führt, dass viele Menschen das Gefühl haben, sie müssten immer erreichbar sein und dann gar nicht mehr richtig abschalten können. Das alles sorgt für ein höheres Stresslevel.
In Ihrem Buch „Die Welt geht unter und ich muss trotzdem arbeiten” schreiben Sie, dass Müdigkeit kollektiv und systemisch ist. Was meinen Sie damit?
Wenn ein großer Teil der Bevölkerung erschöpft ist, dann ist das kein individuelles Problem. Es ist nicht damit getan, dass ich mal einen Samstag richtig ausschlafe, Yoga mache oder einen Resilienzworkshop besuche. Das mögen gute Tools sein, aber die werden kein Problem lösen, das am System liegt. Dafür braucht es andere Herangehensweisen und da hilft es auch nicht, einzelnen Menschen Vorwürfe zu machen.
Welche Herangehensweisen?
Wir müssen über die Organisation von Arbeit nachdenken. Wir alle könnten wahrscheinlich fünf Dinge nennen, mit denen wir uns jeden Tag aufhalten, die uns nicht wirklich voranbringen. Statt Prozesse einfach so zu lassen, weil es doch schon immer so war, müssten wir an erster Stelle die Digitalisierung weiter vorangetrieben und Technik besser für uns nutzen. Dadurch könnte Zeit gespart und die Produktivität enorm gesteigert werden.
Wer aufgrund der Erschöpfung keinen Vollzeitjob mehr annehmen möchte, gilt als faul, gerade die Generation Z. Stimmt das?
Den Vorwurf, dass die Gen Z faul sei, den halte ich für ganz problematisch. Junge Menschen wollen vielleicht in Teilzeit arbeiten und keine unbezahlten Überstunden schieben, aber es gibt weder Generalverweigerung noch Massenarbeitslosigkeit unter ihnen. Sie müssen ja auch ihre Miete bezahlen. Man fragt sich einfach, warum soll ich mich kaputtarbeiten? Das Haus im Grünen werde ich mir am Ende trotzdem nicht leisten können. Unsere Eltern und Großeltern haben sich teilweise für ihren Job aufgeopfert. Das möchten viele der neuen Generation nicht mehr. Kann man es ihnen vorwerfen?
Wenn alle weniger arbeiten wollen, wie vereinbaren wir das mit dem Fachkräftemangel?
Den Fachkräftemangel gibt es eigentlich noch gar nicht. Ja, wir haben in manchen Branchen Engpässe, in der Pflege, im Handwerk, aber der große demografische Wandel, der kommt noch, wenn die Babyboomer alle in Rente gehen. Das wird sich dann wirklich massiv auf den Arbeitsmarkt auswirken.
Wenn wir wissen, dass wir künftig noch weniger Arbeitskräfte haben werden, wie stellen wir sicher, dass das Kartenhaus nicht zusammenfällt?
Wir sollten umso besser auf diejenigen aufpassen, die wir haben. Wenn wir uns auf den Wandel vorbereiten wollen, dann müssen wir sicherstellen, dass die Arbeitsbedingungen gut sind und dass Leute wirklich nachhaltig gut arbeiten können, damit sie nicht ausbrennen und krank werden. Zudem wird mit der alternden Gesellschaft auch mehr Sorgearbeit anfallen, weil viele ältere Menschen irgendwann pflegebedürftig werden.
Das ist etwas, was häufig von den Familien aufgefangen wird im Privaten und für noch mehr Belastung sorgt. Statt immer mehr Arbeit aus erschöpften Menschen herauszuquetschen, müssen wir überlegen, was für andere Mittel wir haben. Ich halte Technologie für ganz zentral, sich die Prozesse anzuschauen, über die Organisation von Arbeit nachzudenken. Womit verbringen wir unsere Zeit? Können wir diese sinnvoller nutzen und dadurch die Produktivität steigern?
„Das kann doch jemand anderes machen” von Sara Weber (Kiepenheuer & Witsch, 18 Euro).
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Sollten wir Arbeit depriorisieren?
Eher unser Wertesystem, in dem die Arbeit das Wichtigste in unserem Leben ist. Wir stellen oft alles hinter den Job an, um mehr Geld zu verdienen und um mehr zu konsumieren.
Aus eher konservativen Lagern hört man, dass der Wohlstand verloren gehe.
„Wir müssen unseren Wohlstand sichern.” Aber wessen Wohlstand ist damit gemeint? Ist das der Wohlstand der alleinerziehenden Mutter, die zwei Jobs arbeitet? Ist das der Wohlstand des Handwerkers oder der Handwerkerin? Oder ist es der Wohlstand von Menschen, die ein großes Aktiendepot haben, viel erben werden und mit ihrem SUV durch die Gegend fahren? Die Mittelschicht in Deutschland erodiert. Die Armutsquote ist relativ hoch, dafür, dass wir so ein reiches Land sind. Vermögen ist ungerecht verteilt. Darüber sprechen diese Stimmen nicht.
Müssen wir unser Verständnis von Wohlstand ändern?
Ja, wir definieren Wohlstand über Geld und über das Bruttoinlandsprodukt, das alle Waren und Dienstleistungen einschließt, aber auch nur die, für die bezahlt wird. Sprich wenn ich eine:n Babysitter:in anstelle und bezahle dann fließt das ins Bruttoinlandsprodukt ein und ist quasi etwas wert. Wenn ich aber selbst zu Hause bleibe und auf mein Kind aufpasse, dann nicht.
Bei der gängigen Definition von Wohlstand geht es also zu sehr ums Geld?
Genau. Deswegen finde ich diese Wohlstandsdiskussion so schwierig – fast zynisch. Wenn man krank ist und dafür zur Ärztin gehen muss oder im Krankenhaus behandelt wird, dann ist das ja eigentlich gut fürs Bruttoinlandsprodukt, aber natürlich schlecht für unsere Gesellschaft. Vielmehr brauchen wir eine Wohlstandsdiskussion darüber, wie wir als Gesellschaft leben und vor allem auch zusammenleben wollen. Und zwar nicht nur heute und morgen, sondern auch in die Zukunft gerichtet.
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